Entwurfsprinzipien spätgotischer Gewölbe

Ein neuer Ansatz basierend auf Bauuntersuchungen, Reverse Geometric Engineering und einer Neuinterpretation der Quellen (ERC Starting Grant)

Gewölbe im Basler Münsterkreuzgang, um 1460. Die Gewölberippen bilden ein kunstvolles Gebilde aus steinernen Ranken (David Wendland).
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Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts hat die Herausforderung, gewölbte Decken zu errichten, zu immer komplexeren Lösungen in der Architektur der Spätgotik geführt. Diese anspruchsvollen, beeindruckenden und mitunter sehr gewagten Konstruktionen zählen zu den großen Meisterwerken der Architekturgeschichte – sie sind sehr ambitioniert in Bezug auf die Tragkonstruktion und äußerst anspruchsvoll in der geometrischen Konzeption und Planung. Ihren Erbauern gelang es, die Schwierigkeiten bei der Planung der komplexen räumlichen Rippennetze zu überwinden, Anweisungen für die Herstellung der einzelnen Bauteile und deren Montage zu formulieren, und gekrümmte Flächen in den Gewölben zu errichten, die den Gleichgewichtsbedingungen dieser räumlichen Tragwerke entsprechen.

Das Projekt zielt darauf ab, zu verstehen, wie diese Bauten entworfen und geplant wurden, mit welchen geometrischen Konzepten dabei gearbeitet wurde, wie die Informationen von der Planung zur Ausführung übermittelt wurden, und welche mathematischen und mechanischen Theorien zugrunde gelegen haben könnten. Insofern entwickelt das Projekt ein besseres Verständnis für die Organisation und Kommunikationsprozesse auf den Baustellen und eröffnet einen neuen Blick auf die Wissenskultur und Wissensvermittlung im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Ferner sind hiervon Aussagen über die besondere Form dieser Gewölbe und ihrer Bauteile zu erwarten, die mit den Vorgehensweisen bei der Planung und Herstellung eng verbunden ist. Durch die Natur der Kurven und Flächen wird das Erscheinungsbild des Bauwerks wesentlich bestimmt; insofern hoffen wir auch eine bessere Grundlage für zukünftige Restaurierungen an diesen Bauwerken zu schaffen.

Die wichtigste Quelle dieser Untersuchungen sind die Bauten selbst – indem wir rückwärts arbeiten, ausgehend von Vermessungen und geometrischen Analysen, durch reverse engineering und mit bisher wenig bekannten Methoden, und Hypothesen über den Entwurf direkt vom gebauten Objekt aus entwickeln. Parallel werden die dabei formulierten Aussagen in experimentellen Untersuchungen an Modellen und auch in voller Größe reflektiert und verifiziert, um die dabei erzeugten Ergebnisse mit den Befunden zu vergleichen und die Beobachtungen am Bau weiter präzisieren zu können. Auf dieser Grundlage können die historischen Quellen wie Bauhüttenbücher, Traktate und Zeichnungen neu interpretiert, um so den Forschungsstand einer grundlegenden Revision zu unterziehen.

Ein Thema bei diesen Untersuchungen ist die Formgebung der Gewölbeschale. Es gilt als allgemein anerkannt, dass der geometrische Entwurf gotischer Gewölbe prinzipiell auf der Definition der Kurven der Rippen und Bögen beruht. Da allerdings die gemauerte Gewölbeschale die eigentliche Tragstruktur bildet, stellt sich die Frage, inwiefern diese ebenfalls Gegenstand von Planung war.
Weiteres Thema ist die mögliche Verbindung von geometrischer Konzeption und Tragwerksplanung. Aus heutiger Kenntnis besteht ein intrinsischer Zusammenhang zwischen Form und Tragverhalten in Gewölben. Wir versuchen zu verstehen, wie in der Spätgotik der Entwurf der Form der Gewölbe mit den Vorstellungen über das Tragverhalten verknüpft gewesen sein könnte. Dies gibt uns einen generellen Einblick in die statischen Konzepte aufseiten der Erbauer in vorindustrieller Zeit.

Eine weitere bisher offene Frage betrifft die Verbindung zwischen geometrischem Entwurf der Gewölbe und dem Proportionssystem des gesamten Bauwerks.

Durch die Analyse charakteristischer Unregelmäßigkeiten in der Form der untersuchten Gewölbe sind wir in der Lage, die Prinzipien und Vorgehensweisen zu beschreiben, nach denen das geometrische System der Gewölbe auf der Baustelle festgelegt worden ist. Wir können daher klären, für welche Elemente des Gebäudes genaue Arbeitsvorgaben festgelegt und aufgrund welcher Kriterien diese Vorgaben formuliert wurden. Diese Beobachtungen und Hypothesen können mit den Quellen, insbesondere einem Entwurfstraktat aus dem Kontext der spätgotischen Architektur in Verbindung gebracht werden. So gelingt es, die Quellen auf Basis der Befunde besser zu verstehen, in umgekehrter Perspektive jedoch auch einen neuen Blick auf die Quellen zu entwickeln. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die verschiedenen Etappen des Entwurfs – die Planung der einzelnen Rippensteine sowie die geometrische Definition der Gewölbebögen auf der Baustelle – Gegenstand experimenteller Studien.

Team
David Wendland (P.I.), María Aranda Alonso, Christian Mai, Alexander Kobe, Katja Schröck, María José Ventas Sierra

Projektdaten
Titel: Design Principles in Late-Gothic Vault Construction – A New Approach Based on Surveys, Reverse Geometric Engineering and Reinterpretation of the Sources (ERC Starting Grant, Grant No. 284373)
Acronym: REGothicVaultDesign
Projektleiter: David Wendland
Projektträger: Europäischer Forschungsrat (ERC)
Laufzeit: Februar 2012 – Juli 2017
Host Institution: Technische Universität Dresden – www.tu-dresden.de
Weitere Informationen: http://cordis.europa.eu/project/rcn/101156_en.html